Stellungnahme des Fachbeirats Tiergenetische Ressourcen

Kurzstellungnahme zum Konflikt zwischen der Rückkehr des Wolfes und der Erhaltung gefährdeter einheimischer Nutzierrassen
Die Rückkehr des Wolfes nach Deutschland und die damit einhergehende Wiederbesiedelung der Lebensräume ist aus Sicht des Artenschutzes als ein Erfolg zu begrüßen. Mit dem Wolf kehren andererseits aber auch Probleme zurück, von denen besonders die Weidetierhalterinnen und -halter betroffen sind.

Laut aktuellem Bericht der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) wurden für das Monitoringjahr 2022/2023 in Deutschland 184 Wolfsrudel und 47 territoriale Paare sowie 22 territoriale Einzeltiere bestätigt. Die Tendenz ist steigend. Obwohl Wölfe sich größtenteils von Wildtieren ernähren, häufen sich durch den rasanten Anstieg der Wolfspopulation in den letzten 20 Jahren die Übergriffe auf landwirtschaftliche Nutztiere. Für das Jahr 2021 berichtet die DBBW von bundesweit 975 Übergriffen mit insgesamt 3.374 geschädigten Nutztieren.
Dies stellt für den Bereich der Weidetierhaltung, besonders für die Erhaltung einheimischer Nutz-tierrassen und den Erhalt der Vielfalt innerhalb dieser Rassen eine Gefahr dar. Laut aktueller Einstufung der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) und des Fachbeirats Tier-genetische Ressourcen sind 58 der insgesamt 81 einheimischen Rassen der Arten Pferd, Rind, Schwein, Schaf und Ziege vom Aussterben bedroht. Gründe hierfür sind u. a. die in der Vergan-genheit erfolgte Spezialisierung in der Tierzucht und die Verdrängung lokaler, eventuell robuste-rer Rassen für eine Mehrfachnutzung.

Die Populationen der gefährdeten einheimischen Nutztierrassen sind zahlenmäßig klein und da-her durch Inzucht von genetischer Verengung betroffen. Wichtig für den Erhalt der Vielfalt ist eine diverse Familienstruktur, um dieser Verengung mit gezielten Anpaarungen entgegenzutreten. Bei so kleinen Populationen pro Rasse kann jedes getötete Tier oder der Verlust einer ganzen Herde einen signifikanten Verlust an genetischer Variabilität bedeuten und daher Auswirkungen auf die genetische Diversität der Rassen haben. Daher können Wolfsübergriffe bei diesen Populationen einen besonders großen Schaden anrichten. Aber auch indirekt können vermehrte Übergriffe eine negative Auswirkung auf die Erhaltung der gefährdeten einheimischen Nutztierrassen haben, wenn Züchterinnen und Züchter durch den erhöhten Arbeitsaufwand und die erhöhte finanzielle, aber auch psychologische Belastung ihre Tierhaltung aufgeben und ihre Tiere nicht von anderen Züchterinnen und Züchtern übernommen werden. Gerade im Bereich der Schaf- und Ziegenzucht sind viele Zuchtbetriebe inzwischen in der Klein- und Hobbyhaltung angesiedelt. Hier wird eine unersetzbare Arbeit für die Erhaltung der Diversität geleistet. Die inzwischen in allen Bundeslän-dern mit etablierten Wolfsvorkommen – dort jedoch nicht flächendeckend – geförderten Herden-schutzmaßnahmen (wolfsabweisende Zäune, Herdenschutzhunde) werden in diesen Kleinhal-tungen oft nicht angenommen bzw. können aufgrund der fehlenden zeitlichen Kapazitäten oder dann nicht mehr vorhandener Wirtschaftlichkeit nicht ausreichend umgesetzt werden.
Aber auch auf Seiten der größeren Berufsschäfereien und Zuchtbetriebe mit gefährdeten einheimischen Rassen hat es schon wolfsbedingte Betriebsaufgaben gegeben. Ein besonders gravierendes Beispiel ist hierbei die Graue Gehörnte Heidschnucke. Die Graue Gehörnte Heidschnucke
ist derzeit ebenso wie die Weiße gehörnte bzw. hornlose Heidschnucke als Beobachtungspopulation eingestuft. Die Population umfasst aktuell etwa 1.200 Herdbuchmutterschafe bei der Weißen Gehörnten Heidschnucke und etwa 4.500 Herdbuchmutterschafe bei der Grauen Gehörten Heidschnucke. Bei letzterer Rasse haben schon mehrere große Herdbuchzuchtbetriebe in Niedersachsen mit insgesamt mehr als 500 Mutterschafen die Schafhaltung wegen der Wolfsproblematik aufgegeben. Mit jedem aufgegebenen Betrieb und jedem nicht übernommenen Tier-bestand geht gerade bei den gefährdeten Nutztierrassen wertvolle genetische Diversität unwiederbringlich verloren, und auch der Erhalt der wertvollen Kulturlandschaft wird immer schwieriger bis unmöglich.
Allein in Brandenburg wurden zwischen 2020 und 2022 insgesamt 106 tote Tiere der Rassen Graue Gehörnte bzw. Weiße gehörnte/hornlose Heidschnucke dokumentiert, bei denen der Wolf sicher nachgewiesen oder als Verursacher nicht ausgeschlossen werden konnte (Quelle: Lan-desamt für Umwelt Brandenburg). Ähnliche Fälle sind für andere Beobachtungspopulationen wie Waldschaf, Skudde, Rauhwolliges Pommersches Landschaf, Ostfriesisches Milchschaf, Cobur-ger Fuchsschaf und Braunes Bergschaf in Brandenburg zwischen 2020 und 2022 dokumentiert (Landesamt für Umwelt Brandenburg). Neben Brandenburg erfolgt eine exakte Dokumentation der Rasse in den Rissstatistiken einzelner Bundesländer bisher nicht oder nur bedingt. Daher wurde nun in der bundesweiten Herdbuchdatenbank für Schafe und Ziegen (Ovicap) eine Funktion zur Erfassung von durch den Wolf getöteten Tiere geschaffen. Der Fachbeirat hofft da-rauf, dass Züchterinnen und Züchter von dieser neuen Funktion zur Dokumentation der Abgangs-ursachen Gebrauch machen. Mit der Verfügbarkeit bundesweiter Zahlen zu Wolfsrissen bei gefährdeten und vom Aussterben bedrohten Schaf- und Ziegenrassen könnten zukünftig gezielter und vorrangig Förderungen von Herdenschutzmaßnahmen für diese Rassen angeboten werden.
Obwohl es teilweise auch Übergriffe in Stallungen durch den Wolf gegeben hat, ist die Weidetier-haltung naturgemäß am stärksten betroffen. Die Pflege der Landschaften durch Beweidung ist jedoch gerade aus Naturschutzaspekten ein unverzichtbarer Bestandteil der Erhaltung unserer Kulturlandschaften. Die extensive Weidetierhaltung trägt zum Erhalt der Biodiversität und dem Schutz der Ökosysteme bei. Landschaften werden auf schonende Weise offengehalten und vor Verbuschung geschützt, wodurch Lebensräume für Vögel, Insekten und andere Kleintiere ge-schaffen bzw. erhalten werden. Zusätzlich tragen Weidetiere als „Transporteure“ von Pflanzen-samen zu deren Verbreitung bei. Somit liefert die Beweidung einen unersetzbaren Beitrag zur Erhaltung der Biodiversität und zum Natur- und Artenschutz. Die Weidetierhaltung kann daher zur Erhaltung der Vielfalt unserer einheimischen Nutztierrassen, der Offenhaltung von Kulturland-schaften und zur allgemeinen Artenvielfalt beitragen. Auch die Kohlenstoffbindung im Boden wird durch die extensive Beweidung deutlich erhöht.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Weidetierhaltung wird in dem verbesserten Tierwohl im Ver-gleich zu anderen Haltungsformen gesehen. Auch die Verbraucherinnen und Verbraucher wün-schen sich vermehrt wieder Weidehaltung der landwirtschaftlichen Nutztiere. Dies impliziert allerdings auch einen ausreichenden Schutz der Weidetiere vor Beutegreifern.

Die Bundesrepublik Deutschland hat sich in mehreren nationalen und internationalen Vereinba-rungen zur Erhaltung der einheimischen Nutztierrassenvielfalt verpflichtet. Auch das für den Natur- und Artenschutz elementare Übereinkommen über die Biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) führt in Handlungsziel 4 des neuen globalen Rahmens für die Biodiver-sität (Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework, KM GBF) die Erhaltung der Vielfalt der genetischen Ressourcen für Landwirtschaft und Ernährung (Nutztiere, Nutzpflanzen etc.) auf. Die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) sieht die Erhaltung der Vielfalt der Nutztierrassen als wichtigen Baustein für die zukünftige Ernährungssicherung an.
Beim Schutz der Art Wolf müssen gleichrangig auch andere Aspekte, wie die Erhaltung der Viel-falt der einheimischen Nutztierrassen zur zukünftigen Ernährungssicherung und als Kulturgut, die Pflege von Kulturlandschaften und der Schutz von Ökosystemen (Natura-2000-Flächen, Naturschutz- und vergleichbare Gebiete) durch Weidetierhaltung berücksichtigt werden.

Der Fachbeirat Tiergenetische Ressourcen setzt sich daher für folgende Maßnahmen ein, um ein Nebeneinander von Wolf und Weidetierhaltung zu ermöglichen:
▪ Überprüfung des Erhaltungszustandes der Mitteleuropäischen Flachlandpopulation des Wolfes laut Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie und gegebenenfalls Anpassung an die aktuellen Gegebenheiten.
▪ Konsequente und zeitnahe Anwendung der Entnahmemöglichkeiten laut § 45 a Bundesnaturschutzgesetz von mehrfach auf landwirtschaftliche Nutztiere übergriffigen Wölfen.
▪ Weiterer Ausbau, Stärkung und Vereinfachung der Förderung der Herdenschutzmaßnah-men sowie der Schadensregulierung unter besonderer Berücksichtigung des höheren Arbeitsaufwandes für wolfsabweisenden Zaunbau und dessen Erhaltung auch für Klein-betriebe und Hobbyhalterinnen und –halter ohne den Status eines landwirtschaftlichen Betriebs und für alle betroffenen Weidetierarten.
▪ Ersatz des monetären Wertes der Tiere unter besonderer Berücksichtigung des züchterischen Wertes bei Herdbuchtieren.
▪ Förderung der flächendeckenden Erfassung der bei einem Wolfsübergriff geschädigten Tiere nach Rasse und Herdbucheintragung.
▪ Ersatz von Folgeschäden, die durch Wolfsübergriffe verursacht werden, z.B. Ersatz von Kosten für tierärztliche Behandlungen oder den Zeitaufwand für Tiersuche nach Wolfsangriffen.
▪ Genehmigung und Bezuschussung von beutegreifersicheren „Möglichkeiten zum Unterstellen“ von Tieren einschließlich Schaffung entsprechender Rechtsgrundlagen.
▪ Voller Ersatz von durch Wolfsrisse verursachten Schäden auch in Gebieten, in denen auf Grund der örtlichen Verhältnisse wolfsabweisende Zäune nicht möglich sind, wie beispielsweise in stark hängigen oder alpinen Bereichen, an Deichen oder in von Entwässerungsgräben geprägten Bereichen.
▪ Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen zur Einrichtung wolfsfreier Zonen (wie z. B. Deichen).
▪ Verbesserung der Informationen zum Schutz vor Wolfsübergriffen bei Weidetieren, die sich besonders an Tierhalterinnen und Tierhalter von gefährdeten einheimischen Nutztierrassen (Klein- und Hobbybetriebe) richtet.

Weiterführende Links:

Fachbeirat Tiergenetische Ressourcen
https://www.genres.de/fachgremien/fachbeirat-tiergenetische-ressourcen
Erhaltung und nachhaltige Nutzung tiergenetischer Ressourcen in Deutschland
https://www.genres.de/fachportale/nutztiere

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